Trauer um Abel
Liss malte „Trauer um Abel“ während seines zweiten Aufenthalt in Venedig. Obwohl die Protagonisten des Gemäldes, Adam, Eva und Abel, alttestamentlich sind, ist das Thema des Bildes niederländisch. Das Gemälde zeigt deswegen die verschiedenen Einflüsse die Liss’ durch seinen Leben als Weltenbummler bekommen hat.
Trauer um Abel
um 1630
Öl auf Leinwand, 68 x 89 cm
Venedig, Gallerie dell’Accademia
Allgemeines zum Bild:
„Die Trauer um Abel“ (Abb. 1), gemalt in Öl auf Leinwand, misst 67,5 cm in der Höhe und 89 cm in der Breite und befindet sich heute in Venedig in der Gallerie dell’Accademia. Das Bild stellt die Trauer von Adam und Eva über den Tod Abels, ihres Sohns, dar. Dieses Gemälde, wie sein Pendant „Abrahams Opfer“, war Teil der Sammlung der Familie Giovanelli ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis nach 1933, als es Besitz der Gallerie dell’Accademia wurde.¹
Das Bild ist durch eine abfallende irreguläre bzw. unebene Diagonale von links oben nach rechts unten in zwei Teile unterteilt. Wegen des Sonnenuntergangs im Hintergrund, ist der obere Teil beleuchtet und der untere Teil sehr dunkel, abgesehen von den drei Protagonisten des Bildes, die sich im Vordergrund in der unteren linken Ecke befinden. Links ist eine alte kniende Frau mit gefalteten Händen zu sehen. Der Betrachter sieht ihre rechte Seite und ihr Körper ist in Dreiviertelansicht. Sie richtet ihr Gesicht nach rechts unten, zu dem Gesicht der Leiche vor ihr.
Auf ihre linke Seite, quasi hinter ihr, steht ein alter Mann. Er stützt sein Kinn auf seine Hände, die aufeinander auf einen langen Gehstock gelegt sind. Man kann sein Gesicht nicht gut sehen, weil er auch nach unten zu der Leiche vor ihm schaut, und deswegen ist das Gesicht im Schatten. Der Rock der Frau und das Gewand des Mannes tarnen sie fast in der herbstliche hügelige Landschaft. Auf diese Weise werden die Unterarme, die Hände und die Köpfe der zwei Figuren durch den hellen Kontrast zu der Landschaft betont und hervorgehoben.
Vor dem alten Paar liegt der muskulöse, blasse Körper eines jungen Mannes. Er liegt auf einem grauen, glänzenden Tuch, das auch seinen Unterleib bedeckt. Wie die Klamotten des Paares, hat auch das Tuch eine ähnlichen Farbe wie die Landschaft um ihn. Er liegt auf dem Rücken, mit dem Kopf in Richtung des Betrachters und in Verkürzung.
Details
Vergleichswerke
Pietro Monaco nach Johann Liss, Trauer um Abel, Radierung, New York, The Metropolitan Museum of Art Michiel Coxcie, Abels Tod, Öl auf Leinwand, 151 x 125 cm, Madrid, Museo del Prado
In der Radierung von Pietro Monaco von Liss‘ Gemälde sieht man einige Elementen des Gemäldes, die auf dem Bild nicht mehr zu sehen sind, weil die Farben “teilweise eingeschlagen sind und so gewisse Details nur vor den Originalen erkennbar werden.“⁸ Die auffälligsten Unterschiede im Vordergrund sind die drei Kürbisse rechts und ein Baumstamm in der Mitte. Im Mittelgrund links hinter dem alten Mann ist ein großer aufgehängter Hut zu sehen. Weiterhin scheint das zweite Gebäude auf dem Hügel in Brand zu sein. In dem Gemälde schien der Rauch des Brandes nur eine Wolke zu sein. Ein anderer wichtiger Unterschied ist die fliehende Figur rechts neben den Zypressen.
Dank Monacos Radierung sieht man die „Kürbisse im Vordergrund rechts“ die als „Sinnbild der Vergänglichkeit zu verstehen [sind], für welche Ripa das lemma ‚felicita breve‘ wählte.“⁹ Weiterhin sieht man dadurch auch die vierte Figur des Gemäldes: den fliehenden Kain,¹⁰ Adam und Evas Sohn und Mörder seines Bruders Abel. Was im Gemälde ein zweites Gebäude zu sein schien ist eigentlich „der Altar mit Abels Opfer“.¹¹
Ein ganz klarer Einfluss auf Liss’ Figur des toten Abels ist der tote Abel in Michail Coxcies Gemälde „Abels Tod“.¹² Liss’ Abel ist fast in der gleichen Position wie Coxcies, außer dass sich der rechte Arm und die Position des Kopfes in den Bildern unterscheiden und diese in Liss’ Bild weiter nach rechts gedreht sind.
Tiziano Vecellio, Kain und Abel, 1542-44, Öl auf Leinwand, 298 x282 cm, David und Goliath, 1542-44, Öl auf Leinwand, 300 x 285 cm, Opferung Isaaks, 1542-44, 328 x 285 cm, Venedig, Santa Maria della Salute Johann Liss, Die Verfluchung Kains, 86,7 x 71,6 cm, Öl auf Leinwand, Norfolk, Virginia, Chrysler Museum of Art
Außer Tintorettos „Markuswunder“ war eine Trilogie Tizians in Santa Maria della Salute in Venedig von besonderer Bedeutung bei der Beeinflussung von Liss’ Werken.¹⁹ Diese sind „Kain und Abel“, „David und Goliath“ und die „Opferung Isaaks“. Liss hat auch zu den Themen David und Goliath und Kain und Abel (außer „Die Trauer um Abel“) gemalt, nämlich „Der Triumph Davids“ und „Die Verfluchung Kains“.
Jacob Pynas (zugeschrieben), Der barmherziger Samariter, um 1656, Öl auf Kupfer, 21x26cm, Louvre, Paris Jacopo Robusti gen. Tintoretto, 1547-1548, Öl auf Leinwand, 416 x 544 cm, Venedig, Gallerie dell’Accademia
Steinbart und Klessmann schreiben mehrmals, dass Adam Elsheimers Gemälde einen Einfluss auf die Trauer um Abel gewesen ist. Insbesondere schreibt Klessmann: „Die in seiner letzten Lebenszeit entstandene ‚Trauer um Abel‘ in Venedig […] kann man sich ohne die Begegnung mit dem Werk Elsheimers schwer vorstellen.“¹³ In demselben Buch schreibt er auch: „Durch den dunklen Vordergrund und die helle Ferne des Himmels, die durch zwei aufragende Zypressen betont wird, erfährt das Bild eine diagonale Teilung, die auch für die Landschaften Elsheimers charakteristisch ist.“¹⁴
Weiterhin soll laut Klessmann und Steinbart Elsheimers „der Barmherziger Samariter“ im Louvre eine besondere Inspiration gewesen sein. Klessmann schreibt: “Ebenso erinnert Liss‘ Trauer um Abel an die schlichte Poesie des Barmherzigen Samariters von Elsheimer im Louvre.“¹⁵ Außerdem schreibt Steinbart, dass die Dreiergruppe und die Landschaft „mit Elsheimers ,,Barmherzigen Samariter“ im Louvre“ übereinstimmen.¹⁶ Das Gemälde worüber diese zwei Quellen sprechen, wurde aber später Jacob Pynas zugeschrieben. Tatsächlich ist die Position des liegenden Mannes ähnlich zu Liss‘ Abel, aber es wurde um 1656 datiert, so ca. 25 Jahre nach Liss’ Tod.
In der zuletzt benannte Quelle schreibt Steinbart aber auch, dass „Elsheimers“ Gemälde eigentlich auf „Tintorettos liegenden Sklaven im Markuswunder […] zurück“ geht.¹⁷ Steinbart und Klessmann sind einig für die Rolle von Tintorettos Markuswunder als Inspiration für Liss‘ Abel.¹⁸ Der Oberkörper des Sklaven ist ähnlich zu Liss‘ Abels Position auf dem Boden und im Bild.
Exkurs
Johann Liss, Abrahams Opfer, Öl auf Leinwand, 66 cm x 85 cm, Venedig, Gallerie dell‘ Accademia
Abrahams Opfer ist in Venedig in der Gallerie dell‘ Accademia zu sehen. Das Gemälde ist das Pendant von „Die Trauer um Abel“. Diese zwei Gemälde wurden nie getrennt.²⁰
Das Gemälde stellt eine Szene des Alten Testaments dar, Mose Kapitel 22 Vers 9 bis 12. In dieser Szene fordert Gott Abraham auf seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, aber in dem Moment, in dem er dabei ist, es zu tun hält ein Engel Abraham vor der Opfertat ab und das Leben des Jungen wird verschont. Die Figuren sind sehr dynamisch gemalt, deswegen kann der Betrachter nachvollziehen, wie der Engel Abraham ruft und ihn bei der Opferung Isaaks im richtigen Moment aufhält. Gleichzeitig zeigt der Engel mit dem rechten Arm auf das Licht hinter ihm, das auf Gott hinweist.
Diese zwei Pendants setzen sich entgegen. Die zwei diagonalen Linien, die diese Gemälden in zwei Dreiecke unterteilen, spiegeln sich. Auf diese Weise formt sich ein „V“. Die anderen vielen Unterschiede, wie zum Beispiel die Jahreszeit, die Tageszeit und die Farben deuten auf das Thema das diese Bilder verbindet hin, nämlich das Opfer. Abel starb, weil Kain eifersüchtig auf ihn war. Gott schätzte nämlich Abels Opfer mehr, als das von Kain. Isaak hingegen wurde wegen Gottes Befehl und der Gehorsamkeit seines Vaters fast getötet. Da Gott sich der Hörigkeit Abrahams sicher war, verschonte er Isaak in letzter Sekunde, indem er Abraham aufhalten ließ. Zusammenfassend stellen diese Pendants zwei entgegengesetzte Ergebnisse von einer Opfertat vor: Tod in Abels Fall und Leben in Isaaks Fall.
Autorin: Julia König
Bibliographie
von SANDRART, Joachim, Teutsche Academie, II, Buch 3 (niderl. u. dt. Künstler), 1675
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss: Ausstellung unter dem Protektorat der Präsidentin des Deutschen Bundestages Frau Annemarie Renger und des International Council of Museums (ICOM); [Augsburg, im Rathaus vom 2. August – 2. November 1975; Johann Liss Exhibition in the Cleveland Museum of Art, 17. Dezember 1975 – 7. März 1976], Augsburg: Pr.-Dr.-und Verl.-GmbH, 1975.
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Doornspijk, 1999.
STEINBART, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein, Berlin, 1940