Die Auffindung Mosis

Während Liss‘ zweitem Venedigaufenthalts entstand auch Die Auffindung Mosis. Liss hatte für dieses Bild das gleiche Modell bemüht, wie bereits bei seiner Kleopatra. Klessmann schließt daraus, dass die Bilder also zeitnah um 1625, und damit kurz nach seiner Rückkehr aus Rom entstanden seien.¹

Die Auffindung Mosis

ca. 1625, Öl auf Leinwand, 155 x 106 cm
Palais des Beaux Arts, Lille

Allgemeines zum Bild:

Die Auffindung Mosis ist von der bekannten Bibelgeschichte inspiriert. Liss zeigt die Szene, in der die Tochter des Pharaos das Moseskind in seinem Schilfkorb im Fluss entdeckt, und dieses anschließend von ihrer Dienerin überreicht bekommt. Um sie herum scharen sich sechs weitere Frauen. Dabei handelt es sich vermutlich um weitere Dienerinnen und Bauersfrauen. Das Moseskind befindet sich im Zentrum des Bildes. Es wird direkt von der Pharaonentochter angesehen. Diese neigt sich liebevoll über das Kind und blickt es erstaunt an. Dabei dreht sie den Betrachtenden ihre unbekleidete Schulter und ihren Hals zu. Ihr goldenes Kleid setzt auf Höhe ihrer Brust an und fällt in voluminösen Falten bis zum Boden herab. Eine hinter ihr stehende Dienerin scheint einen Teil des Kleides anzuheben zu wollen. 

Das Bild ist in warmen Braun- und Beigetönen gehalten. Wenige Farbakzente, wie das dunkelblaue Kleid der Dienerin im Vordergrund oder der rote Schirm am linken Bildrand bilden die Ausnahme.Auch hier lenken Licht und Schatten den Blick der Betrachtenden auf das Geschehen im Zentrum lenken. Dabei sind die Tochter des Pharaos, sowie ihre Dienerinnen und das Moseskind hell erleuchtet. Die Bauersfrauen im Hintergrund liegen im Schatten. Wie auch in anderen Bildern Liss’ zu sehen sind die Körperhaltungen einiger der Figuren gedreht und geneigt, der Fokus scheint dabei auf den Schultern und den Rücken der Frauen zu liegen.

Laut dem Auktionskatalog der Camille Rogier Auktion von 1896 stammt die Auffindung Mosis aus dem Besitz des Grafen Algarotti. Jedoch ist in den Aufzeichnungen des Algarotti-Inventars von 1776 und 1780 kein Bild mit dem Motiv der „Auffindung Mosis“ überliefert.²

Details

Vergleichswerke

Jacob Jordaens, Magdalena, um 1616, Art Institute of Chicago

In Zusammenhang mit Liss’ Auffindung Moses wird Jacob Jordaens häufig zum Vergleich herangezogen. Klessmann beschreibt hierbei Ähnlichkeiten in der Farbwahl, der Körperhaltung und den Figuren. Bei Jordaens Magdalena finden sich gleich zwei Ähnlichkeiten. Zum einen erinnert die ältere Frau am linken Bildrand an die Bäuerin, die bei Liss hinter der Pharaonentochter zu sehen ist.³ Sie beide tragen eine Kopfbedeckung und auch die Gesichtszüge ähneln sich. Auch sei die rötliche Hautfarbe des Mosesknaben ein deutlicher Hinweis auf den Einfluss durch Jordaens. Dieser hauten ist auch bei anderen Figuren in Liss Gemälden zu finden. 

Wie auch bei Liss’ Auffindung Moses wird durch das Licht der Fokus auf den Hals und das Dekolleté Magdalenas gelegt. Sie legt den Kopf leicht zur Seite und stützt ihn auf ihre Hand. Der Hals symbolisiert die Sinnlichkeit und gleichzeitig auch die Verletzlichkeit der Hauptfiguren. 

Paolo Veronese, Die Auffindung Mosis (Lyon Version), 1581, Musée des Beaux-Arts, Lyon

Das Bildmotiv der Auffindung Mosis ist war in der Malerei der Frühen Neuzeit sehr beliebt. Eine besondere Vorliebe für dieses Motiv schien jedoch Paolo Veronese gehabt zu haben. Er malte ganze acht Versionen der Auffindung Mosis. Sie alle ähneln sich im Aufbau. Immer ist die Pharaonentochter umgeben von Dienern und Dienerinnen, sowie weiteren Angehörigen ihres Hofstaates zu sehen. Auffällig ist hierbei die Europäisierung der Figuren. Zwar entspricht die Tochter des Pharaos auf dem Bild von Liss auch nicht dem damaligen Verständnis eines ägyptischen Erscheinungsbildes, jedoch ist der Einfluss europäischer Hofmalerei bei Veronese Versionen nicht zu übersehen. Die Szene scheint nichts mit dem eigentlichen Kulturellen Hintergrund und der biblischen Geschichte zu tun zu haben. Veroneses Pharaonentochter steht in einem eng geschnürten Kleid zwischen ihren Begleitern und stützt sich praktisch auf ihren nächsten Dienerinnen auf. Ganz als, ob es ihr nicht möglich wäre aus eigenere Kraft zu stehen. Johann Liss wählte den Fokus auf dem Blick zwischen der Tochter des Pharaos und dem Moseskind. Bei Veronese sind die Szenen statisch (mit Ausnahme der Version von 1582-1598 in Turin) und die Begegnung zwischen den beiden Hauptfiguren ist distanziert. Auf einer der Versionen wendet die Pharaonentochter sogar den Blick vom Kind ab. 

Annibale Carracci, Herkules am Scheideweg, 1596, Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel

Die auffällige Rückenansicht, die Liss bei der Dienerin im Bildvordergrund zeigt ist sowohl bei Raffaello Santis Transfiguration von 1518-20 zu sehen, als auch bei Annibale Carraccis Herkules am Scheideweg von 1596. Die künstlerische Entscheidung eine Figur so dominant und vordergründig in der Rückenansicht zu zeigen bewusst getroffen worden. Ebenso wie die Betonung durch den herabgezogenen Stoff, spielt auch hier wieder das Licht eine große Rolle. Es beleuchtet den Rücken so, dass durch den Schatten die Konturen der Schulterblätter und der Muskulatur betont werden. 

Interessanterweise sind auch in diesem Bild gleich mehrere Stilmittel ähnlich zu denen, die Liss verwendete. Das rötliche Inkarnat der Haut, das bereits in Zusammenhang mit Jordaens und dem Liss’ Mosesknaben genannt wurde, findet sich hier beim in der Mitte sitzenden Herkules wieder. Und auch hier trifft das Licht auf die hellen hals und Nackenbereiche der beiden Frauen im Bild. 

Exkurs

Die Mosesgeschichte 

 

Jahrelang lebten die Nachkommen Abrahams, also die Israeliten, friedlich in Ägypten. Eines Tages starb der ägyptische König und sein Nachfolger kam an die Macht. Dieser fühlte sich jedoch von den Israeliten in seinem Land bedroht. Er fürchtete, diese könnten zu mächtig werden. So rief er sein Volk dazu auf, sie zu versklaven. 

Den israelischen Hebammen befahl der König, bei der Geburt eines hebräischen Kindes nur die Mädchen leben zu lassen. Die Hebammen jedoch waren gottesfürchtig und erfanden Ausreden, um die Jungen nicht zu töten zu müssen. Weil die Israeliten immer zahlreicher wurden befahl der Pharao seinem Volk jeden neugeborenen hebräischen Jungen in den Nil zu werfen. 

Zu dieser Zeit gebar eine Mutter des Stammes Levi einen gesunden Jungen, den sie Monate lang versteckt hielt. Doch als sie ihn nicht länger verbergen konnte, blieb ihr nur ein einziger Ausweg. Um ihr Kind vor dem sicheren Tod zu bewahren legte sie das Baby in einen Korb aus Schilfrohr und legte ihn am Nilufer ab. 

Die Schwester des kleinen Jungen versteckte sich in der Nähe, um zu beobachten, was mit ihrem Bruder passieren würde. Schon bald kam die Tochter des Pharao mit ihren Dienerinnen zum Baden an das Flussufer. Sie entdeckte den Schilfkorb und ihre Dienerinnen zogen den Korb hervor und reichten ihn ihr. Sie öffnete den Korb und erblickte den kleinen Jungen.

Sie konnte sich denken, dass dies eines der hebräischen Kinder sein musste und bekam großes Mitleid. Da sie sich nicht selbst um ihn kümmern konnte ergriff die Schwester des Jungen die Gelegenheit und kam aus ihrem Versteck hervor. Sie ging zur Königstochter und erzählte ihr, dass sie eine Frau kenne, die gerade stille und sich um den Jungen kümmern könnte.

Die Tochter des Pharaos war begeistert und bat sie her. Sie befahl ihr, den Jungen zu stillen und ihn großzuziehen. Sie würde sie dafür bezahlen. Als der Junge größer geworden war, brachte die Mutter ihn wieder zur Tochter des Pharaos. Diese machte ihn zu ihrem Sohn und gab ihm den Namen Mose („herausgezogen“).

Autorin: Leah Scheiffelen

Endnoten
¹ Klessmann, 1975, S. 108
² Klessmann, 1975, S. 108
³ Tzeutschler Lurie aus Klessmann, 1975, S. 107
Tzeutschler Lurie aus Klessmann, 1975, S. 107
 Klessmann, 1999, S. 84

Bibliographie

KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss: Ausstellung unter dem Protektorat der Präsidentin des Deutschen Bundestages Frau Annemarie Renger und des International Council of Museums (ICOM); [Augsburg, im Rathaus vom 2. August – 2. November 1975; Johann Liss Exhibition in the Cleveland Museum of Art, 17. Dezember 1975 – 7. März 1976], Augsburg: Pr.-Dr.-und Verl.-GmbH, 1975

KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Doornspijk, 1999a.