Die Toilette der Venus
Liss schafft hier ein Werk, das sein Schaffen in seiner Internationalität repräsentiert. Verbindungen zwischen der Niederlande und Italien, der Renaissance und der Antike, aber auch zwischen Liss’ Oeuvre und dem der ihn umgebenden Künstler werden deutlich.
Die Toilette der Venus
um 1625
Öl auf Pappelholz, 80 x 59 cm
Schloß Pommersfelden
Allgemeines zum Bild:
Die „Toilette der Venus“ war in den Jahren der Hochrenaissance ein verbreitetes Thema und erfreute sich großer Beliebtheit.¹ Johann Liss beschäftigt sich gleich mehrmals mit dem Thema.
Steinbart geht noch davon aus, dass es sich bei der Fassung, die sich heute in Florenz befindet, um die frühere Fassung handelt und die Version in Pommersfelden eine deutliche Stilentwicklung zeigt.² Klessmann argumentiert dagegen und datiert die Pommersfeldener Version auf ca. 1625, während er davon ausgeht, dass die Florentiner Venus erst deutlich später, um 1629/30 entstand.³ Thema ist hier die Version in Pommersfelden. Liss wählt ein Hochformat, um das Thema darzustellen.
Venus sitzt im Zentrum betrachtet und sich im Spiegel, während um sie herum einige nackte Nymphen stehen. Eine wendet uns als Betrachtenden den Rücken zu, eine weitere ist mit der Frisur der Venus beschäftigt. Auf dem Boden vor der Göttin und am blauen Himmel sieht man kleine Putti. Die Szenerie wird auf der rechten Seite von einem großen Tuch beherrscht, links trennt eine steinerne Balustrade den Vordergrund von der dahinter liegenden Landschaft ab. Materialtechnisch weist dieses Gemälde von Liss eine Besonderheit auf. Es ist das einzige seiner Werke, für das der Künstler einen Holzgrund wählte. Klessmann vermutet, dass die Wahl deshalb auf Pappelholz fiel, da es eine feinere Malweise erlaubte und Liss sich von vorherigen Werken abgrenzen wollte.⁴
Details
Vergleichswerke
Die Toilette der Venus, um 1629/30, Öl auf Leinwand, 82 x 69 cm, Florenz, Uffizien
Betrachtet man die beiden Werke nebeneinander, so fallen natürlich sofort einige Gemeinsamkeiten auf. Nicht nur das Motiv der Venus mit Spiegel ist identisch, auch die drei Nymphen sind in den gleichen Posen abgebildet. Die Putti nehmen ebenfalls die gleichen Rollen in beiden Gemälden ein. Nicht zuleztz fällt auch die gleiche Komposition auf, mit der Figurengruppe auf der rechten Seite und dem Landschaftsausblick auf der linken, der von einem Vorhang rechts begrenz wird. Einige Details unterscheiden sich allerdings deutlich. In der Version aus Pommersfelden sind der Venus einige Attribute mehr mitgegeben. Vorne im linken Bildraum finden sich zwei Tauben, aber auch ein Teller und ein Krug. Die Turteltauben sind klassische Begleiter der Liebesgöttin. In der Florentiner Version findet man im Hintergrund statt einer steinernen Balustrade einen Ausblick in eine Landschaft mit einer weiteren Figur. Diese ist als Adonis zu deuten, der mit seinen Hunden auf die Jagd geht und damit auf der weiteren Verlauf des Mythos verweist.
Annibale Carracci, Die Toilette der Venus, um 1593-95, Öl auf Holz, übertragen auf Leinwand, 133 x 170,5 cm, Washington, National Gallery
Das Gemälde von Annibale Carracci weist klare Ähnlichkeiten zu Liss’ Gemälde auf, die Klessmann bereits in seinen früheren Publikationen auffällt und die er später wiederholt. 1999 erklärt er die genaue Beziehung von Liss Venus zu dem Gemälde von Annibale Carracci und zeigt die Übereinstimmungen der Venusgruppe auf. Besonders die drei Frauengestalten, die der Venus bei der Toilette zur Hand gehen, finden sie bei Carracci genau wie bei Liss. Auch kompositorische Parallelen wie die sich nach hinten öffnende Landschaft zeigen die Beziehung der beiden Gemäälde. Wie Steinbart kann Klessmann dadurch auch die Verbindung zu Raffaels Darstellung der Toilette der Psyche aufzeigen. Die Darstellung von der Hand Raffaels ist heute verloren, allerdings durch eine Zeichnung von Alberto Alberti erhalten. Die Venusgruppe sowohl Carraccis, als auch Liss‘ ist daran angelehnt und hat damit ein gemeinsames Vorbild.⁵
Allegorie der Vergänglichkeit, ca. 1622, Zeichnung, 15,3 x 9,4 cm, Cleveland, The Cleveland Museum of Art
Das Motiv der Steinbalustrade, das in der florentiner Fassung des Gemäldes fehlt, findet Klessmann in einer römischen Zeichnung Liss wieder, in der er die „Allegorie der Vergänglichkeit“ darstellt. Die Zeichnung kann über eine Beischrift eindeutig der römischen Zeit Liss zugeordnet werden und macht den zeitlichen Entstehungszeitraum deutlicher.⁶ Sie dient damit als eindeutige Datierungshilfe für das Gemälde, auch wenn sie sonst eher wenig Bezüge zu der Toilette der Venus aufweist.
Exkurs
Forschungsgeschichte
Nicht nur wegen der beiden Versionen des Bildes, sondern auch durch die Perspektiver zweier Forscher auf die Werke ergibt sich hier ein interessanter Einblick in die kunstgeschichtliche Forschung. In seiner 1940 erschienen Monographie widmet sich Kurt Steinbart zunächst einem Vergleich der beiden Versionen. Er stellt dann fest, dass es sich bei der Toilette der Venus um ein sehr venezianisch geprägtes Thema handelt.⁷ Er stellt in Frage, ob das Gemälde viele römische Einflüsse aufweist und wählt auch seine Vergleichswerke entsprechend aus einem nichtrömischen Umfeld.⁸ Vielmehr stellt er Verbindungen zur deutschen Akademie der Malerei in Venedig her und macht einen Bezug zu Raffael und Rubens stark. Ähnlichkeiten zu einem Stich nach Raffael sind nicht von der Hand zu weisen und werden später auch Klessmann auffallen. Trotzdem kann bei Steinbart eine ideologisch fehlgeprägte Argumentation nicht übersehen werden. Für ihn hat Johann Liss mit seinem Gemälde Raffael und Rubens übertroffen, da ihm als Deutscher eine bessere Behandlung des Themas qua Geburt gegeben sei. Er sieht ihn als denjenigen, der endliche alle Aspekte, die beachtet werden müssen in hervorragender Weise vereint und damit ein vollkommenes Gemälde schafft.⁹ In einem Ausstellungskatalog analysiert Klessmann 1975 das Bild deutlich differenzierter. Er kann feststellen, dass Die Toilette der Venus nicht nur italienische, sondern auch niederländische Einflüsse aufweist. Er betont ebenfalls auf Beliebtheit und Häufigkeit des Sujets und stellt, wie Steinbart, ebenfalls venezianische Bilder als Inspirationsquellen heraus.¹⁰ Allerdings macht er auch die Vorbilder der klassischen Antike deutlich, die Liss in Rom gesehen hat und die er in dem Gemälde ebenfalls rezipiert.¹¹ Er verweist außerdem auf Liss‘ eigenes Werk, insbesondere auf den Sturz des Phaeton. Trotz aller römischen Vorbilder sieht Klessmann das Bild als „venezianisch“ an, zumindest unter den Werken, die er Liss römischer Periode zuordnet.¹² Klessmann behandelt das Gemälde noch einmal in aller Ausführlichkeit in seinen beiden Publikationen von 1999. Dabei betont er den „neuen“ Charakter des Gemäldes.¹³ Es wird deutlich, dass er sich bei der erneuten Analyse des Werkes immer differenzierter und ausführlicher äußern kann und es stellt sich ein deutlicher Erkenntnisgewinn ein. Beobachten kann man die unterschiedlichen Strategien der Forschung. Während Steinbart eine stilistische Einordnung über Vergleiche mit anderen Künstlern versucht und dabei bewusst Bilder auswählt, die seiner ideologischen Vorstellung von Liss dienen, arbeitet Klessmann auch immer wieder mit Vergleichen innerhalb von Liss’ Oeuvre und kann so eine relative Chronologie der Bilder schaffen, die er dann bestimmten Zeitabschnitten zuordnet.
Autorin: Paula Schulze
Bibliographie
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss: Ausstellung unter dem Protektorat der Präsidentin des Deutschen Bundestages Frau Annemarie Renger und des International Council of Museums (ICOM); [Augsburg, im Rathaus vom 2. August – 2. November 1975; Johann Liss Exhibition in the Cleveland Museum of Art, 17. Dezember 1975 – 7. März 1976], Augsburg: Pr.-Dr.-und Verl.-GmbH, 1975
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Doornspijk, 1999a.
KLESSMANN, Rüdiger, Johann Liss in Rom. Neue Bildthemen in der Barockmalerei, in: Ars longa, 1999b, S. 333-347.
STEINBART, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein, Berlin, 1940.