Schindung des Marsyas
Dieses kleinformatige Gemälde auf Kupfer aus Liss‘ römischer Periode zeigt mit der Schindung des Marsyas eine mythologische Szene nach Ovid, dessen detaillierte Landschaft an Werke Adam Elsheimers erinnert.
Schindung des Marsyas
1624-25
Öl auf Kupfer, 49,5 x 37 cm
Moskau, Puschkin Museum
Allgemeines zum Bild:
Die Schindung des Marsyas gemalt in Öl auf Kupfer, misst 49,5 x 37 cm und befindet sich heutzutage in der Sammlung des Puschkin Museums in Moskau.
Das Gemälde wurde 1940 von Kurt Steinbart und 1975 von Rüdiger Klessmann auf um 1624-25 datiert.¹ Bei der Schindung des Marsyas zeigt Liss detailliert den Moment der Häutung des Marsyas durch Apoll. Der Verlierer des musikalischen Wettstreits ist an einen Baum gefesselt, zu seinen Füßen liegen ein Widderfell und eine Hirtenflöte. Laut Klessmann verweist das Fell auf die animalische Natur des Marsyas.² Die Ziegenbeine des Satyrs sind bei dem Gefolterten nur angedeutet und seine Figur scheint hauptsächlich aus dem muskulösen Oberkörper zu bestehen. Sein schmerzverzerrter Ausdruck im Gesicht verdeutlicht die Grausamkeit der Bestrafung.
Liss zeigt nicht die Vorbereitung oder den Anfang der Häutung, denn der linke, kräftige Arm des Marsyas besteht nur noch aus rosafarbenem Fleisch. Der Gott besitzt einen auffällig muskulösen Körper, dessen kräftige Hand ohne eine Spur von Zurückhaltung die bereits abgetrennte Haut des linken Armes abzieht und in der anderen blutigen Hand das Messer zur Weiterführung der Folterung hält. Auf seinen braunen Locken trägt er einen Lorbeerkranz, der deutlich macht, dass er Sieger des Wettkampfes ist.
Abgesehen von einem gewaltigen, sich dynamisch in Wind bewegenden, goldenen Mantel, der seinen kräftigen Körper umschmiegt und römischen Sandalen, die bis zu seinen Waden reichen, ist Apoll unbekleidet.
Details
Vergleichswerke
Martin Rota nach Tizian, Der Tod des Petrus, 1560-83, Hamburger Kunsthalle
Liss stellt mit den Figuren des Apoll und des Satyrs Marsyas zwei absolute Gegensätze gegenüber: Sieger und Verlierer, ein helles und ein dunkles Inkarnat, der gemarterte, gebäumte Leib des Satyrs im Vergleich zum kräftigen und kraftvollen aktiv handelnden Gott. Die gebogenen Bäume hinter Marsyas scheinen die Bewegung seines aufgebäumten Körpers aufzunehmen. Steinbart spricht davon, dass sogar die Natur an dem Geschehen beteiligt zu sein scheint.⁵ Die Anordnung der Bäume erinnert laut Steinbart an Tizians Martyrium des Petrus, das durch einen Brand vernichtet wurde und sich nur noch durch einen Stich des Martin Rota und einer Gemäldekopie von Johann Carl Loth rekonstruieren lässt. Johann Liss und Joachim von Sandrart hatten zusammen Werke des venezianischen Malers gesehen und daher kannte er wahrscheinlich das Original von Tizian.⁶ Die Komposition und die Anordnung des Hauptgeschehens im linken Bildrand erinnert an Liss.
Jusepe de Ribera, Tod des Hl. Bartholomäus, 1624, Radierung, 31,5 x 23,7 cm, München, Staatliche Graphische Sammlung
Bezüglich der Komposition nennt Klessmann einen Stich des spanischen Malers und Zeitgenossen Jusepe de Ribera, der den Tod des Hl. Bartholomäus zeigt, der ebenfalls sein Martyrium in Form einer Häutung erleiden musste.⁷ Besonders die Haltung sei beinah identisch mit der des Marsyas und beide Märtyrer sind an einen Baumstamm gefesselt. Bartholomäus blickt wie auch Marsyas seinem Peiniger nicht ins Gesicht, sondern wendet seinen Blick hoffend zum Himmel. Der Satyr bettet sichtlich schmerzerfüllt sein Kinn auf seine Schulter und auch wenn sein Blick nicht zum Himmel gerichtet ist wendet er sich ab von dem Anblick der eigenen Enthäutung. Im Gegensatz zu der Schilderung bei Ovid schreit der Satyr Apoll nicht verzweifelt entgegen: „Was ziehst du mich von mir ab?“ sondern erträgt wie auch Bartholomäus sein grausames Schicksal still und würdevoll.⁸
Guido Reni, Schindung des Marsyas, 1620-25, Öl auf Leinwand, 226 x 175 cm, Musée des Augustins
Auch wenn dieses Gemälde sowohl bei Steinbart als auch bei Klessmann nicht als Vergleich herangezogen wird, weist es dennoch Parallelen zu Liss‘ Werk auf. Zunächst betont Reni wie auch Liss die Kontraste des hellen Inkarnats des Gottes im Vergleich zu dem dunkel gebräunten des Satyrs. Im Gegensatz zu der warmen und hellen Farbigkeit des Gemäldes präsentiert der römische Maler die beiden Figuren in einer düsteren, bergigen Landschaft, die nur durch die Inkarnate und den goldenen Mantel des Apoll erleuchtet wird. Wie auch bei Liss ist der Gott abgesehen von seinem vergleichbar dynamisch wehenden goldenen Umhang unbekleidet. Marsyas ist wie auch bei Liss auf der rechten Bildseite mit beiden Armen an einen Baum gebunden, während Apoll von links kommend die Strafe vollzieht. Im Gegensatz zu Liss‘ muskulösen Gott, der mit roher Gewalt die Haut abtrennt, geht Renis Figur zaghafter und vorsichtiger vor. Marsyas hingegen hat seinen Mund zu einem Schrei geöffnet.
Exkurs
Johann Liss, Schindung des Marsyas, 1625-27, Öl auf Leinwand, 58 x 48 cm, Venedig, Galleria dell‘ Accademia
In der Sammlung der Accademia in Venedig befindet sich ein Gemälde, das die Schindung des Marsyas zeigt und ebenfalls von Johann Liss stammen soll. Die Komposition ist beinah identisch, doch bei der Leinwandversion fehlen einige Details. Im Gegensatz zu den goldenen, römischen Sandalen wird Apoll barfuß gezeigt und die beobachtenden Satyrn im Hintergrund sind verschwunden. Die Bäume sind deutlich massiver gemalt und besonders durch die dunkel-gräuliche Farbigkeit bekommt das Bild eine vollkommen andere Atmosphäre. Laut Klessmann besitzt das Gemälde in Venedig eine niedrigere Qualität als die Version in Moskau.⁹ Die Malweise ist außerdem weniger sorgfältig und er spricht von einer „Sekundärfassung“. Steinbart hingegen stellte die Behauptung auf, dass das Gemälde auf Leinwand zuerst entstanden sei und die Version in Moskau eine verbesserte zweite Version darstellt.¹⁰ Auch Richard E. Spear schloss sich Steinbarts These an, dass die Version in Moskau später entstanden sei.¹¹ 1999 bezeichnet Klessmann die Version in Venedig als eine Kopie.¹²
Autorin: Nicole Timpe
Endnoten
¹ Klessmann 1975, S. 94, Steinbart 1940, S. 95
² Klessmann 1999, S. 157
³ Steinbart 1940, S. 96
⁴ Höcker, Christoph (Kissing) and Hurschmann, Rolf (Hamburg), “Krepis”, in: Der Neue Pauly, https://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/krepis-e622720#e622740
Bibliographie
P. OVIDIUS NASO, Metamorphosen, hrsg. und übersetzt von Michael von Albrecht, Stuttgart 2017,Buch 6, Z. 383-400.
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss: Ausstellung unter dem Protektorat der Präsidentin des Deutschen Bundestages Frau Annemarie Renger und des International Council of Museums (ICOM); [Augsburg, im Rathaus vom 2. August – 2. November 1975; Johann Liss Exhibition in the Cleveland Museum of Art, 17. Dezember 1975 – 7. März 1976], Augsburg: Pr.-Dr.-und Verl.-GmbH, 1975.
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Doornspijk, 1999.
STEINBART, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein, Berlin, 1940
SPEAR, Richard E., Johann Liss reconsidered, in: The art bulletin 58.1976, S. 582-59
Höcker, Christoph (Kissing) and Hurschmann, Rolf (Hamburg), “Krepis”, in: Der Neue Pauly https://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/krepis-e622720#e622740 (31.3.2021)