Atelier der Malerin

In einem Interieur sind vier Personen abgebildet – eine Malerin bei der Arbeit, ein Liebespaar, das vielleicht überhaupt kein Liebespaar ist, und ein Lautenspieler, der gegen die Langeweile musiziert. Das Gemälde ´Atelier einer Malerin´ ist nach heutiger Kenntnis das einzige, das aus Liss´ niederländischen Jahren erhalten blieb.¹

Atelier einer Malerin

um 1615-1649,
Öl auf Leinwand, 81 xl08 cm,
Amsterdam, Instituut Collectie Nederland

Allgemeines zum Bild:

Vor einem schlichten Hintergrund in bräunlichen Nuancen ist eine Malerin im Dreiviertelprofil sitzend vor einer Staffelei dargestellt. Sie malt das Portrait der Frau, die vor ihr sitzt. Die Malausrüstung ist gut zu erkennen – in der rechten Hand hält die Künstlerin einen Pinsel und einen Malstock, in der linken hat sie eine Farbpalette mit weiteren Pinseln. Das in einem warmen Goldton gehaltene Kleid der Malerin hat Puffärmel und ist mit kleinen Details in der Taille verziert. Die weiße Halskrause ist nicht so steif und zierlich, wie man sie aus anderen Werken kennt. Hier ist sie einfacher und dünner und stört die Malerin nicht bei der Arbeit. An den Schultern ist ein weiterer weicher Spitzenkragen zu sehen, der in der Kostümentwicklung zeitlich auf die steifen Halskrausen folgte. Die Malerin trägt eine schlichte, feine, weiße Haube und Ihre Haare sind hochgebunden. Unter dem Kleid sind lange Beine angedeutet, wobei das rechte hervor tritt und rötlich-orangene Strümpfe in glänzenden Schuhe mit Absatz sichtbar werden. Ihr gesicht zeigt einen konzentrierten Ausdruck während sie in die Richtung ihres Modells blickt.

Bei dem Modell handelt sich um eine ebenfalls sitzende Frau, die in einem rot gepolsterten Holzstuhl und feiner Kleidung für das Portrait posiert, während sie vom oben links kommendem Licht betont wird. Die Ärme der Dame ruhen auf den Armlehnen, in der rechten Hand hält es wahrscheinlich einen schwarzen Spiegel oder einen Fächer, der mit dem dunklen Hintergrund fast verschmilzt. Die Frau ist in ein kostbares weißes Kleid mit goldenen Details und eleganten Puffärmeln gekleidet. Passend zum Kleid ist die Frau auch ihr Schmuck – sie trägt eine Halskette und Ohrringe mit Perlen. Ihre gräulichen lockigen Haare sind seitlich hochgesteckt, dabei ist ihr Gesichtsausdruck eher indifferent und sie richtet ihren Blick aus dem Bild heraus auf denBetrachter. Hinter der Frau, an ihrer rechten Seite steht ein Mann. Dieser beugt sich nach vorne und greift an ihre Brust. Der Kavalier, wie ihn Klessmann nennt, ist im Gegensatz zu der Frau mit Ausnahme weniger Details dunkel gekleidet. Der Blick des feinen Herrn gleitet nach unten, aber nicht in die Richtung des Dekolletés der Frau, sondern auf den Boden vor sich hin.

Details

Vergleichswerke

Frans Francken d. J., Bildersaal mit malender Pictura, 1636, Öl auf Holz., 92 x 123 cm, London, Johnny van Haeften

Die Künstlerin bei Johann Liss zeigt Ähnlichkeiten mit der Malerin in einem Gemälde von Frans Francken d. J.: Dem Bildersaal mit malender Pictura, gefertigt 1636. Es handelt sich um ein Kunstkammerbild, das die Darstellung der Kunstsammlung mit einer Allegorie der Malerei verbindet. Derartige Gemälde waren in der Zeit beliebt und luden dazu ein über Kunst zu reflektieren. Franckens Pictura sitzt, in blauem Kleid mit gelbem Umhang, an der Staffelei und malt ein Historienbild, das als „Urteil des Midas“ identifiziert werden kann. Der Pictura fehlen hier, wie auch bei Liss,  weitere Attribute, die in der Bildertradition üblich sind – z.B. eine goldene Kette mit einer Maske und wilden Haaren. Hinter der Malerin sitzt eine Personengruppe, dazwischen und ganz im Vordergrund ebenfalls ein Lautenspieler. Malerinnen und Lautenspieler ähneln sich in beiden Darstellungen in ihrer Positionierung. Trotz großer und bemerkbarer Unterschiede zwischen diesen beiden Gemälden, hilft Franckens Bild bei der Deutung und spricht dafür, dass es sich bei der Malerin von Johann Liss tatsächlich um eine Pictura-Allegorie handelt. Das spricht für die Theorie Klessmanns und gegen die von Steinbart. 

 


Pietro Longhi, Der Künstler im Atelier, um 1741, Ol auf Leinwand, 44 x 53 cm, Venedig, Civici Musei Veneziani d'Arte e di Storia

Laut Steinbart ist dieses erst 100 Jahre später entstandene Gemälde der Beweis, dass Liss eine venezianische Gepflogenheit im Bild festgehalten hat. Es handelt sich dabei ebenfalls um eine im Innenraum abgebildete Szene, in welcher der Maler am Portrait einer, von einem Kavalier begleiteten, Dame arbeitet, die vor ihm sitzt. Der Mann lenkt den Blick des Betrachters mit seiner rechten Hand auf die Schönheit des Busens der Frau. Obwohl die Lösung Longhis konzentrierter ist als die von Liss (beispielsweise sehen sich Maler und Modell hier an), erkennt Steinbart hier eine deutliche Motivähnlichkeit.
Er schreibt: „Ob [dieses Motiv] nun schon in venezianischer Tradition begründet oder eine selbstständige Erfindung des Deutschen ist, die seinem originellen Kopfe sehr wohl entsprungen sein und frühzeitig eine bis zu Longhi fortwirkende Nachfolge gefunden haben könnte, immer bleibt die Ableitung deshalb von hohem Belang, weil sie den endgültigen Sieg des Sittenbildes im venezianischen Rokoko verdeutlichen hilft, einer nordischen, dem venezianischen Charakter wesensverwandten Anschauungsform, die ein so gut wie einsamer deutscher Vorposten zwischen 1620 und 1630 als Keim für eine späte Reife mittelländischer Kultur überantwortete.“²


Exkurse

Genrebild oder Allegorie

Bei der Durchsicht der literarischen Quellen fällt schnell auf, dass das Bild Atelier einer Malerin in Bezug auf sein Genre je nach Deutung ganz unterschiedlich bewertet werden kann. So sieht Steinbart in dem Bild beispielsweise eine Darstellung einer niederländischen Malerin als typische Genreszene die ihrerseits die venezianische Tradition der Darstellung der Dame mit ihrem Kavaliers stark beeinflusste. Klessmann ist hingegen davon überzeugt, dass es sich bei Liss´ Malerin um eine Pictura-Allegorie handelt. Er betont, es sei auffallend, dass der Kavalier der sitzenden Dame so demonstrativ seine Liebe bezeugt. Belege für seine Vermutung findet er in einer Federzeichnung von Pieter van Laer in welcher “der Maler seine Arbeit an einem Frauenporträt [unterbricht], um sein Modell zu umarmen, in das er sich unterdessen verliebt hat. Amor selbst tritt an die Staffelei, um Palette, Pinsel und Malstock zu übernehmen. Eine literarische Grundlage für diese Darstellung scheint bisher nicht bekannt zu sein, wenn man von dem klassischen Vorbild des Apelles absieht, der sich ebenfalls in sein Modell verliebte. Sollte das Gemälde dem von Pieter van Laer behandelten Themenkreis angehören, so hätte man in dem

Kavalier den Maler zu erkennen, der von Liebe ergriffen seine Arbeit nicht mehr fortsetzen kann und seinen Platz an der Staffelei Pictura selbst überlassen muss. Der die Laute spielende junge Mann links könnte eine solche Deutung unterstützen, da er ein häufig verwendetes Motiv der Liebessymbolik darstellt.“³

Von Kunstkammern und Künstlern

Malerinnen und Maler bei ihrer Arbeit im Atelier und in privaten Kunstsammlungen bzw. Kunstkammern waren ein beliebtes Motiv in der Kunst des 17. Jahrhunderts. So zeigt zum Beispiel das Gemälde von Joos von Craesbeeck einen Maler, der eine fröhliche Gesellschaft darstellt, unter welcher sich selbstverständlich auch ein Lautenspieler befindet. Jann Vermeers zeigt hingegen einen Maler, der die Muse Klio darstellt. Das Gemälde wird ebenfalls als Allegorie der Kunst verstanden. Hier sitzt der Maler im Mittelpunkt vor seiner Staffelei und ist dabei dem Betrachter mit dem Rücken zugewandt. Das Modell steht vor ihm links und wird durch einfallendes Licht betont. Darüber hinaus zeigt uns Willem van Haecht, der die Werkstatt des Appelles und die Kunstkammer des Cornelis van der Geest, während von Francken in einer Kunstkammer kunstverständige Kenner beim diskutieren darstellt. Und auch Jacob Jordaens hat eine detailierte Kunstkammer der Raritäten mit ihren Besuchern abgebildet.

 

Autorin: Marija Bilan

Endnoten
¹ Klessmann 1999, S. 31
² Steinbart 1940, S. 51
³ Klessmann 1999, S. 162

Bibliographie

KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Doornspijk, 1999.

 STEINBART, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein, Berlin, 1940