Die Inspiration des Hl. Hieronymus
Das Gemälde Die Inspiration des Hl. Hieronymus zeigt eine Vision des Heiligen, in der ihm Engel in der Wüste erscheinen. Durch klug plazierte Details gelingt es Liss dabei, alle drei Rollen des Heiligen in einer einzigen Darstellung zu vereinen.
Die Inspiration des Hl. Hieronymus
um 1628/29,
Öl auf Leinwand, 225 x l75 cm,
Venedig, San Niccolo da Tolentino
Allgemeines zum Bild:
Vor dem Hintergrund einer kargen, steinigen Wüste erscheinen dem Hl. Hieronymus im zarten Farbenspiel einer himmlischen Vision einige Engel, die ihm die Worte Gottes verkünden. Aufgeschreckt durch die Berührung eines göttlichen Boten, wendet der Heilige seinen Blick staunend nach oben. Derweil lenkt die Lichtregie das Auge der BetrachterInnen sicher durch Liss´ Komposition und führt in schwungvollen Bahnen hinauf zu der Engelsgruppe im Zentrum der paradiesischen Lichterscheinung rechts oben, wo ein kleiner Putto dem Heiligen einen aufgeschlagenen Folianten entgegen hält. Dabei gelingt es Liss anhand klug gesetzter Details, eine facettenreiche Heiligengeschichte zu erzählen. Doch während die Ikonografie des Gemäldes weitgehend entschlüsselt werden konnte, gibt der Entstehungskontext des Werkes bis heute Rätsel auf.
Das Altargemälde befindet sich als einziges Werk Liss´ noch heute an seinem ursprünglichen Ausstellungsort,
der Kirche San Niccolo da Tolentino in Venedig und stelltdessen einzigen öffentlichen Auftrag dar. Leider blieben keine Dokumente erhalten, die weiteren Aufschluss über den Auftrag geben könnten. Eine Theorie zieht eine Vermittlung seitens Nicolas Regniers, den Liss persönlich kannte und der seinerseits bereits für den Orden tätig geworden war, in Betracht. Allerdings scheint es auch möglich, dass die Ordensbrüder durch die kurz zuvor entstandene Verzückung des hl. Paulus auf Liss aufmerksam wurden und ihm daraufhin den prestigeträchtigen Auftrag anboten. Auch der Zeitpunkt der Entstehung ließ sich bislang nicht eindeutig bestimmen. Eine Bemerkung Joachim von Sandrarts, der das Werk während seines Venedigbesuchs im Jahr 1628/29 bereits an seinem ursprünglichen Aufstellungsort besuchte, sowie die große Nähe zu der 1628 entstanden Verzückung des hl. Paulus geben jedoch deutliche Hinweise für eine entsprechende Datierung.¹
Details
Vergleichswerke
Caravaggio, Der Hl. Mathäus mit dem Engel, um 1602, Öl auf Leinwand, 292 x 186 cm, Rom, S. Luigi dei Francesnci / Caravaggio, Mathäus mit dem Engel, 1602, Öl auf Leinwand, 232 x 183 cm, zerstört 1945
Der große Engel führt uns auf die Spur eines anderen Künstlers, dem sich Liss Ideen entliehen haben könnte, um sie dann in seiner ganz eigenen Manier umzuformen. Die Figur eines hereinschwebenden Engels, der den Arm des Heiligen erfasst, lässt sich leicht auf Caravaggios Bilderfindungen des Hl. Matthäus mit dem Engel zurückführen, welche Liss in Rom ausgiebig studiert haben dürfte und die ihrerseits zu einem beliebten Sujet unter den italienischen Künstlern wurde.²
Agostino Carracci (nach Tintoretto), Die Jungfrau erscheint dem Hl. Hieronymus, 1588, Kupferstich, 42 x 30 cm, Wien, Albertina
Ein anderer Künstler, von dem Liss seine Inspiration bezogen zu haben scheint, ist Tintoretto. Da Liss ein großer Bewunderer und Kenner der Kunst Tintorettos war, geht Klessmann davon aus, dass das heute verschollene, aber anhand eines eines Stiches von Agostino Caracci überlieferte Werk Die Jungfrau erscheint dem Hl. Hieronymus Liss stark beeinflusste. Schnell wird die große Nähe der gewundenen und nur mit Lendentüchern bekleideten Körper der Heiligenfiguren deutlich und fast scheint es, als hätte man zwei Momente der selben Bewegung vor Augen.³
Giuseppe Ribera, Der Hl. Hieronymus mit dem Engel, 1626, Öl auf Leinwand, 262 x 164 cm, Napoli, Museo / Giuseppe Ribera, Hl. Hieronymus, 1629, Öl auf Leinwand, 125 x 100 cm, Rom, Galleria Pamphili
Für die Engelsgruppe zieht Klessmann zwei Hyronimusdarstellungen Giuseppe Riberas heran, bei denen „der Kontakt des Heilgen mit erzähleischen Mitteln hervorgehoben“ wird. Damit spielt er darauf an, dass sich der Hieronymus Riberas des Engels bewusst ist. Anders als auf älteren Darstellungen sieht der Heilige direkt in die Richtung des Engels bzw. des Musikinstruments und scheint damit unmittelbar auf dessen Anwesenheit zu reagieren.⁴
Domenico Fetti, Büßende Maria Magdalena, 1615, Öl auf Leinwand, 99 × 77 cm, Museum of Fine Arts, Boston / Domenico Fetti, David mit dem Haupt des Goliath, 1620er Jahre, Öl auf Leinwand, 160,7 × 99,1 cm, Schwedisches Nationalmuseum, Stockholm
Zu guter Letzt reiht sich dann auch noch Domenico Fetti in die illustre Runde der inspirierenden Künstler ein. Die große Bewunderung, die Liss laut Sandrart Fettis Werken entgegenbrachte, schlägt sich laut Steinbart und Klessman in jener lockeren Malweise und einer „schimmernden Farbigkeit“ nieder, die den Gemälden laut Klessmann in dieser Phase eigen sind.⁵
Exkurs
Die Tradition des Kopierens
Das Oeuvre Johan Liss´ wurden schon früh auffallend oft kopiert. Dies stellte zur damaligen Zeit aber keine Besonderheit dar, denn das Kopieren der Werke anderer Künstler hatte bereits eine eigene Tradition erlangt. Nach Ansicht Cosimo I. stieg ein Werk in seinem Wert, wenn es so gut kopiert wurde, dass man keinen Unterschied feststellen könne, da es so sowohl die Kunstfertigkeit des ursprünglichen Malers als auch des Kopisten zum Ausdruck bringe. Darüber hinaus galten auch Kopien bekannter Werke als Prestigeobjekte in königlichen oder fürstlichen Sammlungen. Und schließlich trugen auch die vielen Kopien, die in den Werkstätten der originalen Künstler entstanden zum hohen Ansehen der Repliken bei. Erst im Zuge eines Anstiegs des kunstverständigen Publikums im beginnenden 18. Jh. wurden Kopien zunehmend negativ konnotiert.⁶ Die Inspiration des hl. Hieronymus wurde häufiger als alle anderen Werke Liss´ kopiert. Nicht zuletzt wegen seinem prominenten Aufstellungsort wurde das Gemälde bereits kurze Zeit nach seiner Enthüllung in Form von Zeichnungen und Skizzen festgehalten. Eine der frühesten fassbaren Zeichnungen dieser Art geht auf Georg Strauch zurück. Interessanterweise entstand diese Kopie jedoch nicht in
Venedig, sondern in Strauchs Heimat Nürnberg. Als Grundlage der Zeichnung diente eine Kopie des Altarbildes, welche dort 1711 ausgestellt wurde und ihrerseits zur weiteren Verbreitung des Werkes beitrug.⁷ Ein Kupferstich von Pietro Monaco dokumentiert dagegen nicht nur die anhaltende Faszination an Liss´ Werken sowie deren druckgrafische Reproduktion, sondern zeigt auch zahlreiche Einzelheiten, die auf dem Originalbild heute nur noch schwer zu erkennen sind.⁸ Außerdem entstanden mit einer kleinen Bildwiederholung in Vincenza sowie einer größeren in Dublin auch Kopien in Öl auf Leinwand. Zunächst ging die Wissenschaft übereinstimmend von einer Eigenhändigkeit Liss´ aus, die Meinungen schieden sich jedoch an der Frage nach der jeweiligen Funktion.⁹ Nach Oldenbourgh fungierte das Bild aus Vincenza als Bozzetto,¹⁰ während Steinbart davon überzeugt war, dass diese Funktion der Kopie aus Dublin zukam.¹¹ Klessman wiederspach derartigen Theorien jedoch: Ein bozzetto sei auszuschließen, da es keinerlei Hinweise gebe, dass Liss mit derartigen Vorstudien arbeitete. Außerdem ging er bezüglich der Urheberschaft und Datierung der Werke davon aus, dass die Gemälde erst nach Liss´Tod entstanden seien.¹²
Bibliographie
KLESSMANN, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Œuvrekatalog, Doornspijk, 1999.
STEINBART, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein, Berlin, 1940
SPEAR, Richard E., Johann Liss reconsidered, in: The art bulletin 58.1976, S. 582-59