Reise und Reisewege
Reisende Künstler
Die aus unterschiedlichen Kulturen und Bildungsschichten entstammenden Künstler hatten individuelle Beweggründe, welche sie zum Reisen veranlassten. Naheliegend ist, dass sie diesen Schritt im Zuge ihrer Ausbildung unternahmen und sich ungeachtet der Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert wurden, auf den Weg machten, um neue Methoden der Malerei kennenzulernen, sowie ihre Fähigkeiten zu vervollständigen. Künstler reisten aber auch um Werke anderer Künstler vor Ort mit eigenen Augen zu betrachten, sich mit Kollegen auszutauschen, um ihre eigenen Werke einem neuen Publikum zu präsentieren und sich im Idealfall einen neuen Markt und dadurch ein Einkommen zu sichern.¹
Reisende Hofkünstler
Während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war aufgrund der Tatsache, dass die Ausübung von Herrschaft stetigen Ortswechsel erforderte, eine große Mobilität von Nöten, so dass in diesem Zusammenhang auch von „Reiseherrschaft“ gesprochen werden kann.² Grenzüberschreitungen waren insbesondere für Hofkünstler nichts Außergewöhnliches, da sie ihre Fürsten oftmals auf Reisen zu begleiten pflegten.³
Wanderung als Malergeselle
Die Bildenden Künstler gehörten in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ständegesellschaft dem Handwerk an und waren dadurch den Verordnungen von Gilden und Zünften unterworfen, welche als Pflichtteil der künstlerischen Ausbildung eine Wanderschaft, in der Regel zwei bis vier Jahre, vorschrieben. Vorschriften darüber wohin gewandert bzw. gereist werden sollte gab es nicht. Etliche Künstler nutzten in diesem Zusammenhang die Möglichkeit ins Ausland zu gehen, da in Ländern wie Frankreich und Italien die eingrenzenden Zunftvorgaben des Reichsgebiets nicht bestanden und sie dort, trotz Gesellenstatus, bereits selbstständig arbeiten durften. Abseits des Reisens in funktionalem Zusammenhang war selbstbestimmtes Reisen, als künstlerischer Zweck, in der Vormoderne eher eine Seltenheit.⁴
Johann Liss als Malergesell auf Wanderschaft?
Ein Stammbuchblatt mit der Handzeichnung Allegorie der Vergänglichkeit ist mit einem Spruch in deutscher Sprache beschriftet und trägt die Signatur „Johann Liss“ sowie Ort und Datum „Zu Rom den 19 martio A° 16“. Bedauernswerterweise ist der rechte Teil des Stammbuchblattes geringfügig beschnitten, so dass Teile der Angaben fehlen.⁵ Trotzdem liefert das Blatt wichtige Information, denn Liss zeichnet unterhalb seiner Signatur als „Mahler gese“⁶ (gesell, geselle). Ein Beweis dafür, dass Liss seine Reise nach Italien im Zuge der Zunftverordnung unternahm? Die Bezeichnung Maler stand nur denjenigen Künstlern zu, welche bereits das Meisterrecht erworben hatten. Forderungen die Malerei als eine „Freie Kunst“ zu erklären, erfüllten sich erst als um 1800 die Zünfte im Zuge der Aufhebung des Alten Reiches wegfielen.
Stammbücher
Stamm- oder Skizzenbücher erweisen sich als aufschlussreiche Zeugnisse zur Nachverfolgung zurückgelegter Wege und Stationen von reisenden Künstlern. Ihre Widmungseinträge, in der Regel ein kurzer Sinnspruch und eine dazugehörige Handzeichnung, enthalten Angaben zu Namen, Datum und Ortsangabe des Stammbuchhalters bzw. derjenigen die sich dort eintrugen und liefern dadurch wichtige Informationen zu Mobilität und Netzwerken.⁷ Im Gegensatz zu einer Vielzahl von einzelnen Stammbuchblättern sind vollständige Stammbücher leider kaum überliefert. Vor allem wenn sie Einträge bekannter Künstler enthielten wurden diese herausgenommen, wobei der Rest meist verloren ging.⁸
Hofpaur, Michael, Selbstbildnis im Stammbuch des Malergesellen Ferdinand Simmerl, 1644, Federzeichnung, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseums
Johann Liss, Allegorie der Vergänglichkeit, ca. 1622, Zeichnung, 15,3 x 9,4 cm, Cleveland, The Cleveland Museum of Art
Reiseberichte
Reiseberichte von Alpenüberquerungen zeugen von imposanten Natureindrücken welche im selben Maße beeindruckend wie auch beängstigend waren. Ein Ende des 16. Jahrhunderts erschienener und speziell die Alpen betreffender Bericht, beschreibt diese als eine furchteinflößende Barriere aus zerklüfteten Felsmassen, zerrissen von tosenden Wasserfällen und schwindelerregenden Abgründen.¹⁶ Als besonders schreckenerregend galt die Schöllenenschlucht der Gotthard Route. Die im Jahre 1595 gebaute Steinbogenbrücke, welche eine Überquerung der Schlucht auf hölzernen Planken ermöglichte, ging unter dem Namen Teufelsbrücke, pont de linferno, in die Geschichte ein.¹⁷
Literarisches Zeugnis einer Alpenüberquerung
Jahre später nach Johann Liss reiste der Maler Anne-Louis Girodet nach Italien, wo er fünf Jahre (von 1790 bis 1795) verbrachte. Die überwältigenden Eindrücke seiner sechswöchigen Reise von Paris nach Lyon, Genf und die Schweizer Alpen nach Turin, Mailand, Bologna, Florenz und Rom dokumentiert Girodet in Briefen und seinem Gedicht Le Peintre wie folgt: „Eine neue Unordnung erschüttert meine Sinne; meine Blicke verschlangen die Himmel und Abgründe; und meine Seele schwamm in diesen erhabenen Größen […]. Wie sich zwischen Frankreich und Rom die Natur erhob.“¹⁸
Istruzione per far viaggi: ein Handbuch von Vincenzo Giustiniani
Giustiniani schreibt nach seiner Erfahrung im Jahr 1606 „Istruzione per far viaggi“: zurück von einer langen Reise, die ihn besonders in Nordeuropa führte, schreibt er ein Tagebuch, das sich für den modernen Kenner als echtes Handbuch herausstellt.
Auf den ersten Seiten beschreibt er auch das Publikum, an das das Manuskript gerichtet ist,spezifisch an reiche und männliche Landsleute, insbesondere beschreibt er den perfekten Reisenden als:
- derjenige, der zum Vergnügen und nicht aus Notwendigkeit reisen wird, um seine Zeit dem Besuch der „Persönlichkeiten des Ortes“ zu widmen und für den Vorsicht und Studien von Moral- und Naturphilosophie unverzichtbar sind;
- der zwischen dreißig und fünfzig Jahre alt ist [in dieser Hinsicht scheint Giustiniani sich selbst als Maßstab zu nehmen, während in anderen Quellen festgestellt werden konnte, dass das für solche Reisen empfohlene Durchschnittsalter etwa zwanzig Jahre betrug];
- dass er gut ausgebildet und intelligent ist, „liberal“ denkt und dass dies sein Ruf ist [bekannt und anerkannt zu sein, ist für Giustiniani ein fast grundlegender Faktor für den modernen Menschen, auf den er oft hinweist];
- dass ihm Empfehlungs- und Kreditschreiben zur Verfügung gestellt werden, die das Fehlen von Freunden und Bekannten „vor Ort“ ausgleichen, die ihm helfen können.¹⁹
Der Autor geht auch auf die Art der Gesellschaft ein, die der Reisende mit sich führen muss: Er spricht von zwei Freunden, die einen niedrigeren Rang als der Gast haben, und von drei Bediensteten, von denen jeder unterschiedliche Aufgaben hat. Die drei Diener werden unterteilt in:
- ein Herold, der über Reisekosten berichtet und in Fremdwährungen versiert ist;
- ein Kellner im Dienste aller Teilnehmer;
- ein Übersetzer, der sich auch während der Reise je nach Bedarf und Sprachkenntnissen ändern kann.
Die Reisegruppe kann somit bequem in einer Kutsche fahren und auch das Gepäck kann untergebracht werden.²⁰
Giustiniani gibt als bevorzugtes Beförderungsmittel eines an, bei dem es die Möglichkeit gibt, die Sehenswürdigkeiten am Rand der Route zu studieren. Er rät außerdem, die Route immer im Blick zu behalten, da sich häufig Fahrbahnänderungen ergeben können, und gemietete Wagen mit einem Kutscher zu benutzen, der sich um seine Pferde kümmert. So kann im Notfall das Transportmittel schneller gewechselt werden, als wenn man mit eigenen Pferden reist. Als Ausnahme dieser Regel erwähnt er eine persönliche Erfahrung, als er von Frankreich nach Flandern musste und eine Konfliktzone überquerte, fand er keine Kutschern, die bereit waren, ihn zu transportieren; in diesem Fall empfiehlt er den Kauf einer Kutsche, vorzugsweise auf deutschem Boden, das es dort Wagen von ausgezeichneter Verarbeitung und Pferde bei guter Gesundheit und zu einem vernünftigen Preis gibt.
Zweitens hält er Bootsfahrten über die Flussrouten für bequem, viel entspannter und gibt an, es ermöglicht eine gesunde Geselligkeit zwischen allen Teilnehmern. Was fehlt, ist die Möglichkeit, die Sehenswürdigkeiten des Ortes oder ganzer Städte zu sehen. Daher ist es für Giustiniani eher ein Trick, schneller als das Haupttransportmittel an ein bestimmtes Ziel zu gelangen.
Der Autor rät nachdrücklich von der Fahrt auf Meer ab, da sie seiner Meinung nach aufgrund der Strömungen am gefährlichsten und auch am langweiligsten ist.
Letztendlich untersucht Giustiniani die Seereise und erklärt, dass es mit dem richtigen Boot sowohl angenehm als auch interessant sein kann. Die Gefahr darin wird durch die Korsaren definiert, die das Mittelmeer umrunden. Um unangenehme unvorhergesehene Ereignisse zu vermeiden, ist es ratsam, eine Feluke zu verwenden, die im Voraus reisen kann.
Das Verhalten, das der Reisende beibehalten muss, ist ebenfalls wichtig: neben der Kenntnis der Gewohnheiten und Bräuche der verschiedenen Länder, die er besucht, muss er das Personal, das er auf seiner Reise treffen wird, mit guten Worten und Trinkgeldern versehen, insbesondere Gastgeber, Bedienstete und Dienstmädchen, um nützliche Ratschläge zu lokalen Besonderheiten zu erhalten und gutes Essen und Wein zu den Mahlzeiten zu haben. In diesem Zusammenhang rät Giustiniani, einen Vorrat an nicht verderblichen Lebensmitteln, getrocknetem Fleisch und gut konserviertem Wein mitzubringen, um mögliche Mängel auszugleichen, sowie ein paar saubere Blätter, um Krankheiten und Parasiten zu vermeiden.
Im Gepäck des Reisenden darf ein Vorrat an pharmazeutischen Mitteln der damaligen Zeit (elettuario, contraveneno, oglio für den Magen) nicht fehlen²¹, um Klima-, Lebensmittel- und Reisebeschwerden zu lindern. Bei Reisen in Malaria-Gebiete wie Paris, London und einige deutsche Städte ist Vorsicht geboten.
Autorinnen: Katharina Baumstark und Silvia Mordini
Bibliographie
BRILLI, Attilio, Reisen in Italien. Die Kulturgeschichte der klassischen Italienreise vom 16. Bis 19. Jahrhundert, Köln 1989.
BOCCOLINI, Alessandro, Viaggio e viaggiatori italiani nel Seicento: relazioni odeporiche per una nuova geografia del vecchio continente, 2019, E-pub
GIUSTINIANI, Vincenzo, (BANTI, Anna Hrsg.) Discorsi sulle arti e sui mestieri, 1981, Firenze
REILLY, Benjamin James, Northern european patterns of visiting Rome, 1400-1850, 2019 Journal of Tourism History, 11:2, S. 101-123
SCHULDT, Ludwig, Italienreisen im 17. & 18. Jahrhundert, Wien/München 1959.
TACKE, Andreas, Künstlerreisen. Fallbeispiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Petersberg 2020.