Regionen
Venedig
Venedig muss wohl eine besondere Anziehung auf Johann Liss gehabt haben, da er sich dort gleich zweimal aufhielt. Ob es gemäß Kurt Steinbart mit der Ähnlichkeit der Lagunenstadt zu seinem am Meer liegenden Geburtsort oder der Kanalstadt Amsterdam zu tun hatte, bleibt offen.
Der Gründungsmythos der Stadt Venedig
Die Stadt Venedig wurde im Gegensatz zu anderen italienischen Städten nicht in der römischen Antike gegründet, sondern durchlebte über Jahrhunderte einen aufgrund fehlender Quellen schwer zu rekonstruierenden Entwicklungsprozess. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Tatsache dar, dass zu Beginn die Lagunenregion Venetien noch nicht identisch war mit der späteren Stadt.¹ Seit dem 15. Jahrhundert tauchte der 25. März 421 als Gründungsdatum in der venezianischen Geschichte auf, doch auch wenn es bereits die oströmische Provinz Venetia gab, entstand die Stadt Venedig erst im 8. Jahrhundert. Nach dem Einfall der Hunnen unter Attila in Venetien und Zerstörung der Stadt Aquileja 452 flohen zahlreiche Venetier zunächst in die Lagunenregion und nachdem die Mauern ihrer Festlandssiedlungen nicht mehr stand hielten, zogen sie sich auf Inselgruppen zwischen Land und Meer zurück. 553 wurde durch den byzantinischen Feldherrn Narses Venetien zu einer oströmischen Provinz. Nach der Eroberung Oberitaliens durch die Langobarden unter König Alban 568 kamen zahlreiche Stämme in die Lagunenregion. 697 wird der erste Dux (später Doge) durch das byzantinische Reich als Gouverneur eingesetzt, denn Venetien war zu dieser Zeit noch kein autonomer Staat und durfte auch selbstständig keinen Handel führen. 774 wurde das Langobardenreich durch den Sieg der Truppen von Karl dem Großen Teil des Fränkischen Reiches und 809 wurde See-Venetien von seinem Sohn Pippin erobert. 811 wird der erste richtige Doge ernannt und durch die Verlegung seines Amtssitzes wird die Region Rivus altus (später Rialto) zur Metropole von See-Venetien.² Byzanz erhielt durch den Friedensvertrag von Aachen 812 seine Grenzprovinz See-Venetien zurück und dieses Ereignis bildete laut Lebe auch den Beginn des autonomen Staates Venedigs.³
Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags verschwanden die byzantinischen Truppen vom venezianischen Festland und die Bevölkerung konnte zum ersten Mal in ihrer Geschichte selbstständigen Salz- und Fischhandel gegen Abgaben und Zölle mit den Märkten des italienisch-fränkischen Reiches betreiben.
Im 13. Jahrhundert hatte See-Venetien einen dramatisch wachsenden Besiedlungschub erfahren und das damals noch sehr sumpfige Gebiet musste trockengelegt werden, um bebaut zu werden. Zu dieser Zeit wurde auch das rund 37 Kilometer lange Kanalsystem angelegt.⁴ See-Venetien wurde zu Venezia-Rialto, wodurch der Staat der Venetier mit der Hauptstadt eins geworden war.
Egnazio Danti, Venedig (Ausschnitt), 1580-81, Fresko, Galleria delle Carte Geografiche Musei Vaticani, Città del Vaticano
G.B. Arzenti, Perspektivische Ansicht von Venedig, um 1620-30,Venedig, Museo Correr
Bernhard von Breidenbach, Erhard Reuwich, Peter Schöffer, Ansicht der Stadt Venedig, 1486, London, British Library
Gentile Bellini, Prozession auf der Piazza S. Marco, 1496, Tempera auf Leinwand, Venedig, Galleria dell‘ Accademia
Politik und Religion
Über die Entstehung der venezianischen Verfassung ist bis ins 10. Jahrhundert wenig bekannt, doch durch das älteste Geschichtswerk, die „Chronicon Venetium“ des Johannes Diaconus aus dem 11. Jahrhundert, das historische Ereignisse vom 6. Jahrhundert bis 1008 schildert, liegt zumindest eine Vorstellung von den politischen Anfängen Venedigs vor.¹⁷
Ab dem 8. Jahrhundert verfolgten die einflussreichsten Familien der Lagune eine zunehmende politische Unabhängigkeit von Byzanz. Nachdem im 9. Jahrhundert der Sitz des Dogen verlegt wurde, kamen zahlreiche Unruhen unter den einzelnen politisch mächtigen Familien auf und bis ins 10. Jahrhundert wurden Dogen abgesetzt oder ermordet. In dieser Zeit bekamen die venezianischen Patrizier der Familien Falier, Grandenigo und besonders die Candiano mehr politischen Einfluss. Nachdem die Dogen versucht hatten, ihr Amt zu vererben, wurde dies 1032 gesetzlich untersagt und dem Dogen wurde statt der eigenen Söhne als Mitregenten ein Gremium aufgestellt. Dieses Gremium wurde zu einer oligarchischen Regierung und sollte vor allem die Macht des Dogen kontrollieren, denn die Amtsträger hatten zunehmend versucht, eine Dynastie aufzubauen.¹⁸ Im 12. Jahrhundert entstanden aufgrund des Niedergangs des oströmischen Reiches kommunale politische Einrichtungen wie der Rat. Dieser sogenannte Große Rat kam 1172 zum ersten Mal zusammen und löste die vorherige Volksversammlung ab. Der Doge und seine Berater bildeten den kleinen Rat, die Mitglieder des Senats waren verantwortlich für die Innen- und Handelspolitik der Republik und der Rat der Vierzig (Ausschuss des Senats) war die wichtigste juristische Instanz innerhalb der Verfassung.
Bereits 1297 hatte die Regierung die venezianische Bevölkerung durch den Großen Rat von der Politik ausgeschlossen und im 13. Jahrhundert wurde der Rat der Zehn als juristisches und herrschaftliches Gremium gegründet.¹⁹ Der Doge war das Staatsoberhaupt der Republik Venedigs, auch wenn er keine politische Entscheidungsgewalt besaß: „Ein Fürst ohne Macht“.²⁰ Hierarchisch folgten nach dem Dogen die Prokuratoren, die auf Lebenszeit ernannt wurden und mit wohltätigen Aufgaben betraut wurden. Sie gehörten zu der reichen Oberschicht und durften nach ihrer Wahl nicht mehr an Ratssitzungen teilnehmen. Im 17. Jahrhundert hatte sich die Zahl der Prokuratoren, alleine schon durch den Kauf von Ämtern, verdoppelt.²¹
Sowohl der Große Rat als auch der Senat waren für die Verteilung von politischen Ämtern, wie z.B. das des Botschafters, das nur die reichsten Venezianer bekleiden konnten.
Auch wenn das Amt des Botschafters zu den kostspieligsten in der venezianischen Regierung gehörte, zeigte die Wahl der Männer für die politischen Ämter, dass besonders Reichtum und familiäre Beziehungen entscheidend waren.
Die politische Elite traf sich auf dem Markusplatz oder um den Rialto, um bei den Mitgliedern des niedrigen Adels Stimmen zu sammeln.²²
Der religiöse Mythos der venezianischen Republik beginnt mit der Legende, dass 828 venezianische Kaufleute die Reliquie des Hl. Markus stahlen, um sie aus dem Osmanischen Reich sicher nach Venedig zu bringen.²³ Zu Ehren der Reliquie wurde eine Kirche errichtet und das Attribut des Heiligen, der geflügelte Löwe, wurde zum Wappentier der Republik Venedig.²⁴ Die Kirche, die für den Heiligen errichtet worden war, wurde nach der Verfolgung des damaligen Dogen zusammen mit dem Dogenpalast 976 abgebrannt, dabei wurde wahrscheinlich auch die Markusreliquie vernichtet.²⁵
Nach einer weiteren Legende konnte die Reliquie durch den späteren Dogen gerettet werden und es wurde der Markusdom gebaut. Die Elite akzeptierte den Papst als einen weltlichen Fürst, doch fürchtete auch, dass er die Privilegien oder Freiheiten eingrenzen könnte.²⁶ 1606 hatte der Papst ein Interdikt über Venedig verhängt, woraufhin der Theologe Paolo Sarpi die Position der Republik vortrug und dabei deutlich machte, dass es eine klare Unterscheidung zwischen „katholisch“ und „päpstlich“ gab. Die katholische Urkirche wurde von den meisten Mitgliedern der Elite als traditionell betrachtet, während die päpstliche Kirche als verdorben, zu weltlich und monarchisch galt.²⁷ Zahlreiche venezianische Patrizier hegten im 17. Jahrhundert eine anti-spanische Einstellung und nachdem sich der Papst auf die Seite der spanischen Krone gestellt hatte, waren viele gegen die päpstliche Kirche.
Vittore Carpaccio, Leone Marciano (Markuslöwe),1516, Fresko, Venedig, Palazzo Ducale, Sala delle Volte
Autorinnen: Julia König und Nicole Timpe
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