Der verlorene Sohn

Eines der ersten Werke Johann Liss, in dem die Einflüsse der italienischen Kunst deutlich werden. Zentral zu sehen ist ein heiter wirkendes Pärchen, welches von einer gesellschaftlichen Szene umgeben ist, in der getrunken, musiziert und mit Karten gespielt wird.

Der verlorene Sohn

um 1622
Öl auf Leinwand, 85 x 69 cm
Wien, Akademie der bildenden Künste

Allgemeines zum Bild:

Das sich in der Wiener Akademie befindende Werk Der Verlorene Sohn ist das Erste von Drei Werken Liss, welche nach dieser biblischen Erzählung benannt wurden. Trotz der Identifikation der, aus dem Lukasevangelium entstammenden Szene, zeigt die Analyse des Werkes deutlich, wie verschwommen die Trennungslinie zwischen profanen und sakralen Darstellungen in der Barocken Kunst verlaufen kann und wie durch diese rätselhafte Qualität des Werkes, Liss eine mehrdeutige Darstellung schuf.¹ Dabei deutet der Kunsthistoriker Steinbart zu Beginn seiner Analyse, dieses Gemälde als ausschließlich profane Darstellung, welche vom venezianischen Kupferstecher Pietro Monaco, dem Thema “seiner Veröffentlichung zuliebe in die Zwangsjacke des neutestamentlichen Gleichnisses gepreßt [wurde, indem er das Gemälde] im Schriftrande seines Stiches mit großen Lettern als Darstellung des erlorenen Sohnes bezeichnet, der sein Gut 

verpraßt”.² Doch es wird im Verlaufe seiner Analyse deutlich, dass die Deutung dieses Gemäldes als bloßes frommes niederländisches Gesellschaftsstück der dargestellten Szene ein wenig zu kurz kommt. Dabei wird die Entschlüsselung der Szene, durch das Hinzukommen verschiedener allegorischen Subtexte, welche in solchen moralischen Darstellungen in den Niederlanden üblich waren, erschwert.³ Das Problem der eindeutigen Interpretation des Werkes, ist jedoch kein Problem der modernen Kunstgeschichte; bereits kurz nach der Entstehungszeit wurde es vom niederländischen Kunsthistoriker Houbraken (1660-1717) als biblische Darstellung kategorisiert, und andererseits wurde es nicht allzu viel später, während einer Auktion am 5 Juni 1765 in Den Haag bloß als profane Darstellung einer kartenspielenden und musizierenden Gesellschaft dokumentiert.

Details

Vergleichswerke

Willem Pieterszoon Buytewech, Voorname vrijage, zwischen 1616/20, 56,3 x 70,3 cm, Öl auf Leinwand, Amsterdam, Rijksmuseum

Trotz all der Einflüsse der italienischen Kunst auf Liss, ist Der Verlorene Sohn jedoch nicht ohne Bezüge zu traditionellen niederländischen Werken. Auffallend ist das Hauptpaar in der Mitte des Gemäldes, welches eindeutig niederländisch und von Steinbart “genauer [als] haarlemisch” lokalisiert wird. Dabei kommen erneut Vergleiche und optische Parallelen zu lustigen Gesellschaften, niederländischen Dandies und Buytewechs Voorname vrijage (um 1616) auf, das solch für die Zeit typische Figuren im niederländischen Stil darstellt. Klessmann betont dabei, dass in den venezianischen Werken wie Der Verlorene Sohn, ein stilistischen Wandel welcher auf den niederländischen Hintergrund aufbaut und sich in die Richtung von venezianischen Darstellungen strebt, zu beobachten ist. Des weitern notiert er schon die deutliche Abgrenzung zu den Bauernszenen im Bruegel-Stil und seinem früheren venezianischen Werk, welches ein Galanten Paar darstellt, jedoch noch viel näher an den traditionellen niederländischen Darstellungsformen ist.


Domenico Fetti, Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, um 1619/21, Öl auf Pappelholz, 61 x 45 cm, Dresden, Gemäldegalerie

Schon aus zeitgenössischen Quellen wie Sandrarts Teutschen Academie ist belegt, dass sich Liss in Venedig mit der Malerei Titians, Tintorettos, Paolo Veronese und besonders Domenico Fetti beschäftigt hatte. Dabei fallen bei Betrachtung des Verlorenen Sohnes und Fettis Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, sofort einige Ähnlichkeiten auf. Die für viele Werke Fettis dominierende architektonische Rahmung der Handlung, wie der auffälligen hohen Wand vor der sich die Figuren versammelt haben, wird von Liss mit einer fast identisch wirkenden Mauer, welche den Blick auf die grüne mediterran wirkende Landschaft verwehrt, dupliziert. Zusätzlich scheint Liss von der Farbauswahl Fettis angetan gewesen zu sein, da sich das mittig in Szene gesetzte Paar bei Liss an den Stoffen von zwei der drei rechts stehenden Figuren Fettis bedient haben zu scheint. Der rote Hut wurde in dabei in Form der in Liss Werken immer wieder auftauchenden roten Hose des Herrn aufgenommen, welcher eine Jacke aus einem ähnlich glänzendem hell-taubenblauen Stoff zu tragen scheint, wie die sitzende Figur bei Fetti. Die neben ihm stehende Dame, ähnelt mit ihrem grünen Kleid und weißem Tuch, der daneben stehende Figur in Fettis Werk. Nennenswert sind ebenfalls, die in beiden Gemälden zu sehenden Hunde, welche sich jeweils am linken unteren Bildrand befinden. 


Autor: Amadeus Tkocz

Endnoten
¹ Klessmann 1975, S. 80
² Steinbart 1940, S.52
³ Klessmann 1975, S. 80
Steinbart 1940, S.54
Ebd., S. 54

 Steinbart 1940, S.52
Ebd., S. 57
 Klessmann 1999, S.46
 Sandrart 1675, S. 315

Bibliographie

KLESSMANN, Rüdiger (Hrsg.). Johann Liss. Ausstellung unter dem Protektorat der Präsidentin des Deutschen Bundestages Frau Annemarie Renger und des International Council of Museums. Ausst-Katalog. Augsburg 1975.

KLESSMANN, Rüdiger. Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Oeuvrekatalog, Doornspijk 1999.

von SANDRART, Joachim. Teutsche Akademie 1675, II, Buch 3 (niederl. u. dt. Künstler). http://ta.sandrart.net/en/text/541#tapagehead [30.04.2021]

STEINBART, Kurt. Johann Liss. der Maler aus Holstein. Berlin 1940.